Schuppenflechte geht oft mit Stigmatisierung und Ausgrenzung einher. Hier stellen wir Ansätze vor, die helfen sollen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und das öffentliche Bewusstsein für diese oft missverstandene Krankheit zu schärfen.
Menschen mit einer sichtbaren Krankheit müssen in allen Lebenslagen damit rechnen, schief angesehen, gemieden oder ausgegrenzt zu werden. Fachleute sprechen von „Stigmatisierung“. Viele Betroffene leiden ein Leben lang darunter. Um dem entgegenzuwirken, wird an Anti-Stigmatisierungs-Konzepten gearbeitet. Inzwischen liegen die ersten Ergebnisse von Projekten vor, die das für Menschen mit Hauterkrankungen umgesetzt haben, vorrangig für Betroffene mit Psoriasis.
- Betroffene müssten trainiert werden, sich gegen die Reaktionen ihrer Umwelt zu wehren. Die wenigen angebotenen Patientenschulungen reichen dafür nicht aus.
- Beruflich haben Ärzte mit Patienten zu tun, meist ohne zu wissen, wie die von ihren Mitmenschen ausgegrenzt und abgelehnt werden. Pädagogen erfahren, dass Einzelne in der Gruppe wegen ihrer Erkrankung abgelehnt werden. In einem Projekt haben sich deshalb Medizinstudenten und Erzieherschüler mit diesem Thema und ihren eigenen Einstellungen befasst.
- Beruflich haben Friseure, Kosmetikerinnen, Physiotherapeuten und Pfleger mit Kunden oder Patienten zu tun, deren Hautkrankheit sie direkt berühren sollen. In einem Projekt haben sich deshalb diese „körpernahen“ Berufsgruppen mit Stigmatisierung auseinandergesetzt.
- Viele finden Hautkrankheiten abstoßend, weil sie völlig falsche Informationen darüber haben. In einem Projekt sollten typische Instagram-Nutzer Fotos von hautkranken und hautgesunden Personen bewerten und ihr eigenes Verhältnis zu den Betroffenen bewerten.
- Projekte mit Angehörigen von Berufsgruppen sind aufwendig. Wenn sie langfristig etwas bewirken sollen, müssen sie fest in die Aus- oder Fortbildung übernommen werden.
- Internetprojekte sind leichter durchzuführen. Sie sprechen Menschen dort an, wo sie tagtäglich aktiv sind. Wenn sie nachhaltig wirken sollen, müssen die Teilnehmer nach festgelegten Merkmalen zusammengesetzt und die Auswertung methodisch verbessert werden.
Stigmatisierung kann quälend sein
Menschen mit einer sichtbaren Hauterkrankung müssen in allen Lebenslagen damit rechnen, schief angesehen, gemieden oder ausgegrenzt zu werden. Das ergab unter anderem eine Fragebogenaktion des Psoriasis-Netz mit dem Deutschen Psoriasis Bund. Die fand 2020 statt, und es hatten sich 630 Betroffene daran beteiligt. Die wenigsten schaffen es darauf zu reagieren und ihre Mitmenschen auf ihr Verhalten anzusprechen. Stattdessen leiden viele darunter; oft ein Leben lang. Stigmatisierung kann quälend sein. Sie kann Betroffene davon abhalten, selbstverständlich unter Menschen zu gehen und ein normales Leben zu führen. Ablehnung gehört zu den Gründen, weshalb sich Betroffene mit Psoriasis öfter das Leben nehmen als der Durchschnitt.
Training der Betroffenen wäre optimal
Gefragt sind Methoden und Konzepte, wie dieser Stigmatisierung entgegengearbeitet werden kann. Der beste Weg ist erscheinungsfrei zu werden. Das heißt, so wirkungsvoll therapiert zu werden, dass die Hauterkrankung nicht mehr sichtbar ist. Das gelingt aber nicht in allen Fällen und nicht bei allen Hauterkrankungen. Die zweitbeste Lösung ist, die Erkrankten selbst zu stärken. Sie sollen sich Techniken und Argumentationshilfen aneignen, um in solchen Situationen angemessen reagieren zu können. Das dafür notwendige Training können aber bisherige Patientenschulungen nicht anbieten. Patientenvertreter und Kliniken sollten entsprechendes Coaching fördern und von den Krankenkassen fordern, das zu finanzieren.
Projekte mit Kontaktpersonen
Anstatt Betroffene individuell zu stärken, kann man diejenigen aufklären, die häufig mit Hautkranken zu tun haben. Bei unserer Umfrage erinnerte sich um die 50 Prozent an negative Erfahrungen in pädagogischen Einrichtungen, einschließlich Schule, Ausbildung oder Studium. Fast 16 Prozent berichteten, dass sie abfällige Blicke oder abwertende Bemerkungen sogar in medizinisch-therapeutische Einrichtungen erlebt hätten. Ausdrücklich wurden Hautarztpraxen genannt! Deshalb waren die entsprechenden Berufsgruppen erstes Ziel der Anti-Stigmatisierungsprojekte.
Erfahrungen von Menschen mit Schuppenflechte oder Psoriasis arthritis: Schau Dich in unserem Forum um.
Die im Folgenden beschriebenen Projekte erfüllten wissenschaftliche Ansprüche. Sie wurden mit zwei Gruppen durchgeführt. Die „Interventionsgruppe“ wusste, worum es ging; die „Kontrollgruppe“ wurde auf ein anderes Thema gelenkt. Die Fragen haben sie dann beantwortet, ohne vorher in das Problem eingeführt worden zu sein. Die Kontrollgruppe soll belegen, dass die Arbeit mit der Interventionsgruppe gewirkt hat. Wie der Vergleich mit einem Placebo die Wirksamkeit eines Medikaments beweist. Die nachfolgenden Ergebnisse beschreiben nur, was bei den aufgeklärten Teilnehmern nachweislich bewirkt wurde.
Medizinstudierende und angehende Erzieher
Das Projekt ECHT lief von 2018-2020 an den Unikliniken in Hamburg und Kiel und und wurde vom Bundes-Gesundheitsministerium gefördert. Das Psoriasis-Netz war an der Planung beteiligt. Zielgruppe waren Medizinstudierende und angehende Erzieher. Sie sollten verstehen, was es für Menschen bedeutet, wegen ihrer Krankheit stigmatisiert zu werden. Beide Gruppen sollen dadurch im späteren Berufsleben typische Situationen erkennen bzw. verhindern können. Dazu nahmen sie an einem 3-stündigen Seminar teil: Durch fantasievolle Übungen sollten sie nachempfinden, wie verletzlich man durch Hautsymptome sein kann. Sie wurden über Hauterkrankungen und Stigmatisierungen informiert. Schließlich sprachen sie mit einem betroffener Patienten über dessen Erfahrungen. Vor und nach dem Seminar sowie 12 Wochen später wurden die Teilnehmer befragt.
Gegenüber den ursprünglichen Vorbehalten haben sich ihre Ansichten nach dem Seminar überwiegend positiv verändert. Psoriasis wurde nicht mehr mit abwertenden Eigenschaften belegt (unhygienisch, abstoßend). Falschen Aussagen zur Schuppenflechte (ansteckend, selbst verursacht) wurde seltener zugestimmt. Nähere Kontakte zu Hautkranken (Hand geben, nach Hause einladen, gemeinsam essen gehen) wollten auch nach der Aufklärung die meisten Erzieherschüler weiterhin nicht; Medizinstudierende waren dafür etwas offener. Ähnlich die Reaktion, ob man zukünftig eher bereit sei, mit Hautkranken zusammenzuarbeiten oder sogar zusammenzuleben. Dem stimmten Medizinstudierenden etwas häufiger zu als Erzieherschüler.
Das Ergebnis ist solide, die Methode hilft, Klischees über Hautkranke abzulegen. Verhaltensänderungen sind nicht schon dann zu erwarten, wenn sich die Teilnehmer erstmals mit dem Thema befassen. Deshalb sollte „Stigmatisierung“ langfristig im Medizinstudium und in der Erzieher-Ausbildung in den Lehrplan aufgenommen werden. Dabei ist einzubeziehen, dass Stigmatisierungen bei vielen Erkrankungen vorkommen, z.B. bei Übergewicht (Adipositas) oder psychische Leiden. In jeder Berufsgruppe müsste außerdem trainiert werden, wie man„richtig“ auf Betroffene und stigmatisierende Situationen reagiert. Vertretern der Ärzte, Psychologen und Patienten sollten Bildungspolitiker davon überzeugen.
Dieser Film erklärt Stigmatisierung und ist ein weiteres Ergebnis des ECHT-Projektes.
Menschen in "körpernahen" Berufen
Das Projekt BEGINN läuft seit 2021 an der Uniklinik in Hamburg und wird vom Eucerin-Hersteller Beiersdorf gefördert. Zielgruppe sind Friseure, Kosmetikerinnen, Pflegekräfte und Physiotherapeuten. Also Menschen, die beruflich auch Hautkranke berühren. Das läuft nicht immer problemlos ab, weil die Beschäftigten nicht Bescheid wissen. Psoriasis-Betroffene haben bei unserer Umfrage berichtet, in solchen Situationen verständnislos und ablehnend behandelt worden zu sein. Angehörige „körpernaher“ Berufe wurden ausgesucht, um solche Reaktionen zukünftig möglichst auszuschließen. Angeboten wurde ein 2 1/2 -stündiges Seminar, inhaltlich fast identisch mit dem des ECHT-Projekts (Selbsterfahrung, Aufklärung, Patientengespräch). Die Teilnehmer wurden vor und nach dem Seminar befragt. Was die erneute Abfrage nach drei Monaten ergeben hat, soll bis Herbst 2023 ausgewertet sein.
Die direkten Reaktionen nach dem Seminar unterschieden sich deutlich von den ursprünglich geäußerten Vorbehalten. Unabhängig von der Berufsgruppe wurde Psoriasis kaum noch negativ gesehen oder falschen Aussagen zugestimmt. Die Vorbehalte gegen nähere Kontakte zu Hautkranken gingen zurück. Außerdem waren alle Berufsgruppen tendenziell bereit, ihr eigenes Verhalten zu verändern.
Selbst wenn das Langzeitergebnis noch nicht vorliegt, wird schon jetzt deutlich, dass es etwas bringt, Stigmatisierung anzusprechen und zu überprüfen. Vorurteile und Vorbehalte gegenüber kranken Kunden oder Patienten werden im Berufsalltag vermutlich selten erörtert. Für jeden dieser unterschiedlichen Berufe müsste darüberhinaus trainiert werden, wie man sich professionell gegenüber Betroffenen verhält. Das sollte in die Aus- oder die Fortbildung von körpernahen Berufen aufgenommen werden. Die Projekte-Macherinnen planen als ersten Schritt, dazu die Handelskammer Hamburg anzusprechen. Dabei wird sie das Psoriasis-Netz unterstützen.
Zum Vergleich: Der von Beiersdorf geförderte Film zur Stigmatisierung von Hautkranken
Instagram-Nutzer
Einen völlig anderen Weg ist man 2021 bis 2022 an der TU München gegangen: Es sollte herausgefunden werden, ob Instagram dazu beitragen könnte, die Stigmatisierung von Psoriasis-Betroffenen zu verringern. Zielgruppe waren Instagram-Nutzer im Alter von 18 bis 49 Jahren ohne Psoriasis. Die Teilnehmer erhielten einen Link zu einem Fragebogen. Auf Skalen sollten sie bewerten, wie sie zu Menschen mit Psoriasis stehen. Außerdem sollten sie auf Fotos angeben, ob sie den abgebildeten Personen vertrauen würden. Gezeigt wurden die gleichen 10 Personen mit und ohne Psoriasis. Danach mussten sie 10 Minuten lang durch den Inhalt eines Instagram-Account scrollen. Der enthielt Bilder, Texte und Videos zur Schuppenflechte und zu Beeinträchtigungen der Lebensqualität. Dieser Account ist in Absprache mit dem Psoriasis-Netz speziell für diese Studie eingerichtet worden. Die Fragen und die Fotobewertung wurden direkt nach der Information auf dem Account und nach zwei Wochen wiederholt.
Die wesentlichen Ergebnisse zeigten sich direkt nach dem Scrollen auf dem Instagram-Account: Deutlich mehr rückten von negativen Klischees über Psoriasis ab. Ebenfalls stimmten eindeutig weniger den 14 Mythen über Psoriasis zu. Aber es konnte nicht festgestellt werden, dass sich die inneren Vorbehalte der Teilnehmer merklich geändert hätten. Nach wie vor waren viele nicht bereit, auf Hautkranke zuzugehen (Hände schütteln u.ä.). Weiterhin äußerten viele, sie würden mit den Betroffenen keine näheren Beziehungen eingehen (Zusammenleben im gleichen Haushalt u.ä.). Die Fotobewertung konnte nicht beurteilt werden. Es war nicht eindeutig festzustellen, ob und wie die Teilnehmer Aussehen und Vertrauen miteinander verbanden. Waren die Darstellungen zu „schmeichelhaft“, wurden die Fotos zu lange gezeigt oder ahnten die Teilnehmer wegen der vorher gestellten Fragen, welche Antwort von ihnen erwartet wurde?
Die Autoren räumen ein, dass eine reine Wissensvermittlung nicht so erfolgreich ist, um negative Einstellungen und vor allem Stigmatisierungs-Verhalten zu beeinflussen. Als wirksamer würden zwischenmenschliche Kontakte und persönliche Ansprache gelten. Solche Projekte seien aber für alle Beteiligten sehr zeit- und arbeitsaufwendig. Im Vergleich dazu sei eine 10-minütige Aktion mit vorherigen Online-Aufrufen und unkompliziertem Zugang „günstig“. Unter kontrollierten Bedingungen könne man über Social-Media-Plattformen durchaus die Stigmatisierung von Menschen mit sichtbaren Hauterkrankungen beeinflussen. Sie schlagen unter anderem vor, zukünftig in einem „kontrollierten Umfeld“ zu agieren, z.B. eine statistisch relevante Anzahl „ausgewogener“ Teilnehmer (Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Betroffenheit) zusammenzustellen. Bezogen auf Instagram fordern sie, dass bessere Verfahren entwickelt werden, um Fotobewertungen für Abfragen nutzen zu können.
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