Mario Wegricht investierte zu Beginn des Kangalfisch-Hypes 70.000 D-Mark in ein Aufzuchtbecken, Technik, Räume und mehr. Seine Frau und er verbrachten damals ihre ganze Freizeit mit der Fischaufzucht in Wohnzimmer, Küche, im Bad, im Keller und auf der Terrasse.
Nachbarn fühlten sich belästigt, wenn die Kellertüren bis spät in die Nacht klapperten, die Wasserleitungen rauschten und jeden Tag neue Besucher kamen, die auch noch die wenigen Parkplätze blockierten. Selbst der Fahrschulbetrieb – Mario Wegrichts Broterwerb – litt unter der neuen Beschäftigung.
"Seit den Fernsehberichten versuchen die Pharmaindustrie und Discount-Zoohändler, meinen ganzen Fischbestand aufzukaufen", erklärte Wegricht damals. "Islamische Fundamentalisten haben mich schon mehrmals am Telefon bedroht und angezeigt." Wegricht ging noch weiter: "Die Kangal-Lobby plant etwas gefährliches gegen mich, denn ich soll sterben."
Gute Nachrichten vom Nachwuchs
Der Mann verbreitete aber auch gute Nachrichten: Ein Patientenpaar aus Hessen überraschte ihn mit einem Zuchterfolg und hatte 15 quicklebendige Jungfische zu Hause. Das verblüffte selbst Wegricht: "Nach meinen Erfahrungen hatten sich die Fische in den letzten vier Jahren nie im Winter gepaart." Die junge Frau jedenfalls war seit Mitte Januar 2001 beschwerdefrei.
Wegricht selbst – so sagte er – war damals seit drei Jahren absolut beschwerdefrei. "Auch meine gesunde Frau vergnügt sich gelegentlich und lässt sich dabei ihre ,Mitesser' beseiten", berichtete der Fische-Züchter. Bei 30° C Wassertemperatur sei das "sehr wohltuend und angenehm, wenn man nicht äußerst kitzlig ist."
Jeder Interessent konnte die Fische, wenn er sich per Telefon anmeldete, "in bar" erwerben. Beim Züchter konnten gleich die Kenntnisse über Haltung, Pflege, Heimkur und Aufzucht anschaulich erfahren werden. Wer Interesse und Mut mitbrachte, konnte ein Testbad nehmen, versrpach Wegricht. In Ausnahmefällen lieferte er auch – an "Nichtmobile, ältere Menschen, Schwerkranke" – gegen eine Fahrkostenrechnugn von 61 Pfennig pro Kilometer.
Als Alternative zur Abholung nannte er einen Transport mit der Bahn samt einem Zehn-Liter-Eimer im Handgepäck.
Fische illegal eingeführt – darauf stehen in der Türkei zehn Jahre Gefängnis
Ansonsten appellierte Wegricht an die Solidarität unter den Psoriatikern: Jeder soll möglich nur eine begrenzte Zahl von Jungfischen – zwischen sechs und 15 Stück – erwerben und dann sechs bis neun Monate lang zur Geschlechtsreife großziehen. Mit dem Nachwuchs – wohlgemerkt dem der Fische – könnte man dann "kuren" und nicht benötigte Fische an andere Bedürftige vermitteln.
Laut Wegricht wurden (und werden wohl) je nach Größe der Hautstellen werden zwischen zehn und 50 erwachsene Fische gebraucht, die mindestens vier bis sieben Zentimeter groß sind. Ausgeswachen messen die Fische bei sachgemäßer und nicht übertriebener Füttern etwa zwölf Zentimter Körperlänge.
Mario Wegricht nahm pro Fisch, der dann im zarten Alter von zwei bis vier Wochen war, 125 Mark. "Das ist nicht, um meine Idee oder das Risiko bei der illegalen Einfuhr oder meine wertvollen Erfahrungen zu honorieren, sondern um meine Auslagen für Investitionen und Aufwendungen auszugleichen", begründete er den hohen Kaufpreis. Wer ein komplettes Aquarien-Set, ausreichend für maximal zehn Fische, dazu nimmt, zahlte damals noch einmal 175 Mark.
Wegricht rechnete pro Fisch im heimischen Aquarium mit mindestens zehn Liter Wasserbedarf. Das Becken sollte oben dicht abgedeckt sein. Eine Lücke von einem halben Zentimeter ist laut Wegricht schon zu groß: Er hat negative Erfahrungen mit vertrockneten Fischen, die er vom Teppich aufgelesen hat.
Das Wasser muss nicht geheizt werden, wenn der Raum ständig zwischen 22 und 25 °C warm ist. Ansonsten ist ein regulierbarer Aquarium-Heizstab nötig. "Jungfische mögen es lieber etwas frischer." Das Wasser muss keine besonderen Eigenschaften vorweisen. "Unser deutsches Leitungswasser kommt dem türkischen Kangal-Thermalwasser zu 98 Prozent nahe", bekundet Wegricht. Pflanzen müssen nicht sein, dürfen aber.
Fische täuschen Hunger vor
Beim Futter lautet die Devise "oft und wenig". Ein Fastentag pro Woche sei gesund und natürlich. "Achtung", schreibt Wegricht in seinem Werbe-Rundbrief. "Die Fische täuschen ständig Appetit vor und ,betteln'. Bleiben Sie hart. Fette Fische leben kürzer und vermehren sich schlechter."
Wer sich ordentlich um den tierischen Nachwuchs kümmert, hat bald Freude: "Nach sechs bis neun Monaten ist der gepflegte, glückliche Fisch fünf bis acht Zentimeter lang und geschlechtsreif." Im Zuchtbecken sollten mindestens sechs bis acht Fische sitzen. "Auch die Fische sind in der Partnerwahl etwas wählerisch", so Wegricht.
Zum Schluss warnte der Kangal-Autodidakt: "Die Fische sollen zur Heimkur nicht in die heiße Badewanne gesetzt werden."
In der Therme in Kangal schwimmen zwei Sorten Fische herum: Der Leuciscus Cephalus und der Garra rufa. Letzterer wurde von Wegricht nach Deutschland eingeführt. Er – der Fisch – half und hilft laut seiner Aussage nicht nur gegen die Psoriasis, sondern beseitigt auch Mitesser, hilft gegen Fußpilz, Ekzeme, Akne, Neurodermitis und Warzen. Beim Knabbern injiziert er laut Wegricht zugleich salz- und dithranolhaltige Sekrete und Enzyme in die neue Unterhaut.
Wer es irgendwie schafft, a) das genügend große Aquarium oder die Regentonne in die Wohnung zu stellen und b) in die "Gefäße" mit den Fischen 'reinzukommen, sollte Fernseher, Familie, Kreuzworträtsel, Bücher und andere Unterhaltung stets in der Nähe haben: Wegricht empfahl täglich vier bis acht Stunden Aufenthalt über zwei bis drei Wochen.
Nachtrag
Damals hatte Mario Wegricht so viel PR in eigener Sache gemacht, dass auch die staatlichen Institutionen auf ihn aufmerksam wurden. Laut seinen eigenen Aussagen in unserem wurde ihm per einstweiliger Verfügung untersagt, seine Fische weiter zu verkaufen. Den genauen Grund für die einstweilige Verfügung hat er trotz mehrerer Anfragen nicht genannt.
Als behördenunkundiger Bundesbürger muss man die korrekten Namen der Gerichte auch nicht wissen. Wenn man von ihnen freilich Post bekommt und das auch noch aller Welt kundtut, kann man schon einmal die genaue Bezeichnung ablesen. Ein Landesgericht Stuttgart gibt es auf keinen Fall. Ein Oberlandkreisamt Pforzheim ist ebenfalls nirgends zu finden.
"Ob einstweiliger Verfügung vom 23. April 2001 vom Landesgericht Stuttgart und Oberlandkreisamt Pforzheim darf ich keine Fische der ART "gara ruffa" zu medizienischen und sonstigen Zwecken mehr verkaufen oder verschenken", schreibt Mario Wegricht und zitiert einen Dr. Dr. Bauer. "Alle meine Fische sind zu medizinischen Untersuchungen freizugeben oder sofort töten zu lassen."
Das Verkaufs-Verbot wurde mittlerweile aufgehoben. Dennoch hat Mario Wegricht angekündigt, auszuwandern und mit einer seiner ehemaligen Kundinnen - mit Gabi Gratke - ein Thermal-Fisch-Bad in Brno (Tschechei) aufzubauen. Das ist allerdings auch schon ein wenig her. Auf seiner Webseite ist au§erdem mittlerweile Köthen als Wohnort angegeben.
Unsere Meinung
Ich übe mich in deutlicher Zurückhaltung, einem Laien die Züchtung der Garra rufa (Knabberfische) auch nur ansatzweise zu empfehlen. Es ist nirgends von einer unabhängigen Stelle dokumentiert, dass das funktionieren kann. Vielmehr sind Wasser und Klima vor Ort, in der Türkei, für die Linderung wichtig.
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