Online Vortrag der UNI Münster Patientenfortbildung: Klinische Studien
Hauterkrankungen wie ein chronischer Juckreiz oder auch die Prurigo Nodularis sind sehr therapieresistent – allerdings gibt es Studien, die teilweise schon sehr gute Ergebnisse geliefert haben und darauf hoffen lassen, dass die getesteten Medikamente bald auch verschrieben werden dürfen. Auch zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen laufen Studien.
Was bedeutet eine Studienteilnahme und was gibt es in diesem Kontext für Möglichkeiten?
Die Entwicklung eines neuen Medikaments dient dazu, ein neues Molekül in den Arzneischrank hineinzubekommen. Dafür ist eine Grundlagenforschung wichtig, die uns ein elementares Verständnis über die zu behandelnde Erkrankung und ihren Verlauf bringt. Nur so können neue Medikamente entwickelt werden, die diese Erkrankungen aufgrund ihres Wirkmechanismus behandeln. In der Entwicklung von Medikamenten stellt sich folgende Frage: Für welche Erkrankung gibt es noch keine Behandlung und welche Behandlungen haben noch ein Verbesserungspotential?
Viele Erkrankungen haben eine multifaktorielle Genese, was bedeutet, dass nicht nur ein auslösender Faktor im Vordergrund steht, sondern mehrere – dadurch ist es nicht immer einfach, dafür eine kausale Therapie zu finden.
Wenn die Grundlagenforschung betrieben und die Arbeit fortgeschritten ist beginnt die Suche nach potenziellen Wirkstoffen, also der Versuch, Moleküle oder Stoffe zu finden, die in den Krankheitsprozess eingreifen und so die Symptome heilen oder lindern können. Zur Erlangung solcher Wirkstoffe gibt es mittlerweile viele verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel das Computer-Aided Drug Design, was bedeutet, dass ein Wirkstoff am PC entworfen und dann chemisch synthetisiert wird, die chemische Arzneistoffsynthese und die klassische Naturstoffisolierung. Diese Isolierung war besonders am Anfang der Arzneimittelforschung in den vergangenen Jahren vertreten und es wird immer noch viel daraus eingesetzt, zum Beispiel die Acetylsalicylsäure in Aspirin, die in der Weide vorkommt und jetzt als Blutverdünner oder Schmerzmittel eingesetzt wird. Manchmal hilft in der Arzneimittelsynthese auch der Zufall, ein bekanntes Beispiel hier ist Penicillin, das 1928 durch Alexander Fleming entdeckt wurde, nachdem eine seiner bakteriologischen Proben mit dem Schimmelpilz Penicillium kontaminiert wurde. Außerdem werden häufig Medikamente für eine gewisse Indikation entwickelt, deren Nebenwirkungen dann auch andere Beschwerden lindern oder heilen. Hier wäre Viagra, ein Medikament für gewisse Bluthochdruckarten, beispielhaft, dessen Nebenwirkung man sich für Behandlung erektiler Dysfunktion zu Nutze macht.
Ein ganz neuer Weg sind Biologicals, die biotechnologisch hergestellt werden und körpereigenen Substanzen sehr ähneln. Sie werden im Labor synthetisiert, ähneln körpereigenen Substanzen sehr und greifen so sehr gezielt in Vorgänge des Körpers ein um Krankheiten zu behandeln. Sie können einzelne Moleküle des Körpers blockieren und sind durch ihre sehr gezielte Wirkung häufig sehr nebenwirkungsarm oder sogar nebenwirkungsfrei. Beispiele für Biologicals sind monoklonale Antikörper, Zytokine oder auch Wachstumsfaktoren, die da angegriffen werden können
Wenn eine Substanz gefunden wurde, erfolgt ein pharmakologisches Screening. Hier wird der Wirkstoff auf seine groben Eigenschaften untersucht, was unter Anderem in-vitro in Kulturschalen in Zellverbänden oder isolierten Organen erfolgt oder in-vivo an Kleintieren, also meist Mäusen oder Ratten. Es stellt sich die Frage, ob sich dieser Wirkstoff im Körper wirklich so verhält, wie wir das wollen.
Der nächste Schritt, die Präklinik am Tier, ist ähnlich. Durch eine Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungen soll eine Vorhersage zur Reaktion von Menschen auf diesen Wirkstoff getroffen werden. Unter Anderem stellen sich folgende Fragen: Wie ist die Verstoffwechselung des Wirkstoffs, passt das zu dem, was wir uns vorstellen und ist die Halbwertszeit so wie wir uns das vorstellen?
Auf die Präklinik am Tier folgen dann endlich klinische Studien am Menschen mit dem Ziel, die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit des Wirkstoffs festzustellen.
Klinische Studien am Menschen erfolgen in vier Phasen.
Am Anfang erfolgt die Prüfung am gesunden Probanden, was bedeutet, dass zuerst Versuchspersonen das Medikament bekommen, die die eigentliche Erkrankung gar nicht haben. Das Medikament wird meist in sehr geringen Dosierungen gegeben, um zu sehen, wie die Sicherheit und Verträglichkeit ist, das Nebenwirkungsspektrum anzuschauen und vor allem die Kinetikdaten zu überprüfen. Es wird erforscht, wie sich das Medikament im Körper verhält, wie es sich anreichert und wie schnell es nachweisbar ist und abgebaut wird. So soll herausgefunden werden, welche Dosis des Wirkstoffs gebraucht wird. Außerdem werden Arzneimittelinteraktionen überprüft. Eine Ausnahme bilden hier zytotoxische Substanzen (Medikamente, die gewisse Zellen zerstören), die nicht an gesunden Probanden getestet werden, sondern direkt am erkrankten Patienten.
Wenn die Prüfung am Gesunden erfolgreich überstanden ist, erfolgt in der nächsten Phase die Überprüfung am symptomatischen Probanden. Hier handelt es sich meist um Kurzzeitanwendungen über wenige Wochen. Meist bekommen die Probanden unterschiedliche Dosierungen, um festzustellen, welche Dosierung die größte Wirkung hat. Meist wird in dieser Phase mit einer relativ geringen Patientenanzahl, nämlich 100-500 Patienten, gearbeitet.
Wenn die Wirksamkeit auch in dieser Phase gezeigt wurde und der Wirkstoff weiterhin unbedenklich ist erreicht das Medikament die dritte Phase, die umgangssprachlich auch als Zulassungsstudie bezeichnet wird. Diese meist breit angelegten Studien erfolgen über viele Studienzentren in Deutschland oder global mit vielen Probanden. Ziel ist der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit, die Überprüfung der Qualität und Quantität häufiger Nebenwirkungen und der Beweis der Überlegenheit gegenüber den Standardtherapien. Wenn diese Phase erfolgreich absolviert ist, kann die Zulassung des Medikaments beantragt werden.
Die Dauer bis zur Zulassung beträgt im Schnitt zwischen zehn und 12 Jahren, allerdings gibt es auch Medikamente wie den Corona-Impfstoff die wegen des großen Forschungsinteresses deutlich schneller zugelassen werden. Der Patentschutz in Deutschland beträgt 20 Jahre, was bedeutet, dass ein forschendes Pharmaunternehmen im Schnitt ungefähr acht Jahre Zeit hat, mit dem Medikament die in der Forschung entstandenen Kosten wieder reinzuholen. Danach läuft der Patentschutz ab und andere Pharmaunternehmen, die nicht forschen, sondern eher auf dem Generikamarkt unterwegs sind, können das Medikament nachbauen.
Die Kosten für solche Studien können sich auf mehrere hundert Millionen Euro belaufen, weil die Entwicklung eines Medikaments oft wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist. Am Anfang wird wahnsinnig viel zusammengetragen, was helfen könnte, weshalb man am Anfang mehrere 10.000 verschiedene synthetisierte Verbindungen hat. Davon erreichen gerade einmal 20 die Präklinik, nur zehn die Phase 1- Studie am Menschen, fünf die Phase 2, zwei die Stufe 3 und ein Wirkstoff bekommt am Ende die Zulassung.
Nach der Zulassung erfolgen eventuell die sogenannten Phase 4 Studien, die die Langzeitnebenwirkungen und den zeitlichen Verlauf der Therapie erforschen. Es handelt sich also um Langzeitstudien. Diese erst später erkennbaren Risiken oder Nebenwirkungen, die sich in den Zulassungsstudien noch nicht gezeigt haben, können auch Jahre nach der Markteinführung für die Rücknahme eines Medikaments sorgen.
Eine Studie hat auch Abbruchkriterien. Mittlerweile erfolgen nur noch 10% der Studienabbrüche wegen unerwünschter Wirkungen, was daran liegt, dass vorher schon so sorgsam gearbeitet wird, dass ein breites Wissen darüber besteht, wie das Medikament vermutlich wirken wird und welche Nebenwirkungen auftreten könnten. Häufiger ist die Wirksamkeit des getesteten Medikaments nicht ausreichend, um die vorhandene Standardtherapie zu überbieten, was gegebenenfalls auf die multifaktorielle Genese zurückzuführen ist. Auch eine ungünstige Pharmakogenetik, also eine so nicht erwünschte Verstoffwechselung und wirtschaftliche Beweggründe können zum Abbruch einer Studie führen.
Der Goldstandard für klinische Studien ist die randomisiert-kontrollierte klinische Studie. Randomisiert bedeutet, dass alle Studienteilnehmer in einen Topf geworfen werden. In kontrollierten Studien gibt es häufig nicht nur einen Therapiearm mit dem neuen Medikament, sondern auch einen Kontrollarm. Die Patienten hier erhalten zum Beispiel eine vergleichbare Therapie mit Standardmedikament, häufig ist die Kontrolle aber auch ein Placebo-Arm – hier erhalten die Teilnehmer gar nicht das Medikament, sondern nur die Trägersubstanz ohne Wirkstoff. Sie werden nach dem Zufallsprinzip zugeordnet. Normalerweise sind diese Studien auch verblindet, was bedeutet, dass weder die Patienten noch die Forschenden über die Gruppenzugehörigkeit informiert sind. Sie erfahren es meist erst am Ende der Studie, während der Sponsor/ das Pharmaunternehmen für die Auswertung natürlich Bescheid weiß.
Die Aufgaben der Studienteilnehmer sind in verschiedenen Verordnungen festgelegt. Die Teilnehmer, die entweder Empfänger des Prüfpräparats oder Mitglied der Kontrollgruppe sind und als betroffene Person bezeichnet werden, müssen ein paar Voraussetzungen erfüllen, um an Studien teilnehmen zu dürfen. Sie müssen in der Regel volljährig und einwilligungsfähig sein, wobei es hier natürlich auch Ausnahmen gibt. Außerdem muss vor dem Studienbeginn eine Aufklärung der Studienteilnehmer durch einen Arzt erfolgen, zu der auch Aufklärungsunterlagen und Material vorliegen müssen. Die schriftliche Einwilligung muss über eine Unterschrift erfolgen und die Studienteilnehmer dürfen nicht gerichtlich oder behördlich untergebracht sein, Außerdem müssen die Risiken und Nachteile dem Patienten gegenüber vertretbar sein und die Ärzte müssen davon überzeugt sein, dass die Therapie nutzt und dass die Patienten von der Teilnahme an der Studie profitieren. Die gesamte Studienteilnahme ist freiwillig und darf jederzeit abgebrochen werden.
Wenn man sich bereit erklärt, an einer Studie teilzunehmen, erfolgt beim ersten Termin ein umfangreiches Gespräch mit einem Arzt und das Unterschreiben einer Erklärung. Danach werden die Ein- und Ausschlusskriterien geprüft – Studien laufen immer nach einem strikt festgeschriebenen Protokoll ab. Einschlusskriterien sind Faktoren, die man erfüllen muss, um an der Studie teilnehmen zu können; Ausschlusskriterien dürfen nicht erfüllt sein, damit eine Teilnahme möglich ist. Wenn diese Voraussetzungen stimmen, erfolgt die protokollgemäße Behandlung der Studienteilnehmer mit dem Prüfmedikament.
Ganz wichtig in einer Studie sind unerwünschte Ereignisse oder adverse events, was bedeutet, dass alle Vorkommnisse, die irgendwie nachteilig sind und während der Studie passieren, dokumentiert werden müssen. Diese Ereignisse können naheliegend oder abstrakter sein; so müssen beispielsweise auch Verletzungen in Folge von Stürzen dokumentiert werden, um eine Häufung dieser Ereignisse, die möglicherweise mit dem Medikament in Verbindung stehen, überprüfen zu können.
Die Durchführung von Studien dient dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zur Entwicklung neuer Therapien für bisher nicht therapierbare Erkrankungen oder der Optimierung bestehender Therapien, um ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu verbessern. Mittlerweile ist der Standard in Bezug auf die Arzneimittelsicherheit sehr hoch; geschichtliche Ereignisse wie der Contergan-Skandal in den 60er-Jahren, der zu einer Häufung von Fehlbildungen bei Neugeborenen führte, haben hierzu ihren Teil beigetragen.
Studien werden in den meisten Fällen entweder kommerziell durch die Industrie bezahlt, in der es forschende Pharmaunternehmen wie Bayer, Novartis und Sanofi und Nicht-Forschende Unternehmen gibt. Die forschenden Unternehmen investieren ihr eigenes Geld, um Medikamente entwickeln zu können, zuzulassen und die Kosten über die Medikamentenkosten wieder einzunehmen, weshalb die Therapien zu Beginn meist hochpreisig sind. Außerdem gibt es wissenschaftlich bezahlte Forschungen zum therapeutischen Erkenntnisgewinn (Investigator Initiated Trials), die primär nicht kommerziell sind. Diese forschen häufig mit bereits vorhandenen Arzneimitteln, Ziel könnte beispielsweise die Erlangung einer Zulassungserweiterung sein.
Die Mitschrift dieses Vortrages wurde vom Uniklinikum Münster genehmigt, aber nicht auf die Richtigkeit überprüft. Die Verantwortung hierfür liegt nicht beim Klinikum, sondern bei der SHG – eventuelle Fehler sind nicht ausgeschlossen. Falls ein Fehler auffällt bitten wir darum, uns einen Hinweis zu geben, damit wir uns ausbessern.
Mitschrift Frau Amelie Weydringer Selbsthilfegruppe für Neurodermitis&Psoriasis Ostheim
Dr. med. Max Görg, Studienarzt am Studienzentrum (Zentrum für innovative Dermatologie) der Klinik für Hautkrankheiten des Universitätsklinikums Münster
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