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    Doktorfisch-Therapie als IGeL-Leistung?

    Die Psoriasis ist ein Leiden, das wie kaum eine andere Hauterkrankung am Ego des Dermatologen zu kratzen vermag. Von der chronischen Schuppenflechte befallene und gequälte Patienten suchen nicht selten auch Zuflucht in so genannten alternativen Behandlungsverfahren. Selbst Fische sind als Therapeuten gefragt. Die aber standen bisher nur im fernen Zentralanatolien im speziellen Ambiente und "Heilwasser" zur Verfügung.Jetzt soll es auch die Reise in die Südpfalz tun: In Pirmasens hat sich die Heilpraktikerin Tanja Handler 200 Kangalfische zugelegt, die ab sofort ihre Schuppenflechte- und Neurodermitis-Patienten beknabbern. Wäre so eine Therapie, die von Beginn an eine große Nachfrage bei betroffenen Patienten auslöste, nicht auch Ärzten als IGeL-Leistung zu empfehlen? Der "Zertifizierungszwang" steht dem wohl (noch) entgegen.

    Heimisch sind die bis zu 12 cm großen, karpfenähnlichen "Doktorfische" Leucsicus cephalus und Garra rufa ("Rötliche Saugbarbe") in den Gewässern des Baches "Kavak Deresi" im Herzen Anatoliens in rund 1.500 Meter Höhe. Von dort aus ist es nicht weit zur Kreisstadt Kangal. Während die an der Seidenstraße gelegene Provinzhauptstadt und historische Handelsmetropole Sivas, wo kleinere Flugzeuge landen können, circa 100 Kilometer entfernt ist.

    Die in den letzten Jahren rund 6.000 Gesundheitstouristen mit chronischen Hauterkrankungen, die es in diese recht verlassene Gegend zieht, tummeln sich jeweils drei Wochen lang täglich je zweimal vier Stunden in speziellen Badebecken, die in den Quellfluss gebaut wurden. Die Kosten für die Kur? Ein Pauschalarrangement von Deutschland aus ist - bei eher spartanischer Unterbringung - für etwa 2.500 DM zu haben. Das dortige Thermalwasser ist circa 37 Grad Celsius warm und weist einen hohen Kalzium-, Magnesium-, Sulfat- und Hydrogenkarbonatgehalt auf, wie von der medizinischen Fakultät der Istanbuler Universität in Zusammenarbeit mit der türkischen Sivas Cumhuriyet Universität bescheinigt ist.

    Schwimmende Therapeuten, die unermüdlich rackern

    Die eigentliche, sehr medienwirksame Attraktion dieser Gewässer sind zwei aus Südwest-Asien stammende Karpfenarten. Deren Ernährungsbedingungen sind aufgrund eines nur minimalen Vorkommens an Phyto- und Zooplanktonen schlecht, was eine gewisse Aggressivität und Appetenz gegenüber den "schmackhaften" Hauteffloreszenzen der Badenden zur Folge hat. Während in "therapeutischer Arbeitsteilung" der unermüdlich, freilich nicht selbstlos rackernden "schwimmenden Hautärzte aus Kangal" die einen den badenden Gästen die Hautschuppen abfressen und die entsprechenden Hautareale durch die Stöße ihrer Fischmäuler "massieren", nehmen die anderen die Wundsäuberung vor.

    Die Fische teilen sich bis zu 40 Patienten

    Dabei sollen durch die Fische sogar "heilsame", dithranolhaltige Sekrete bzw. Enzyme abgesondert werden. Während der Prozedur sei lediglich "ein äußerst angenehmes Kribbeln und Kitzeln" - ähnlich der Reizstrombehandlung zu verspüren, woran man sich sehr schnell gewöhne, versichert Kangal-Patient Gerhard Förster aus Prenzlau. In anderem Zusammenhang spricht der Psoriatiker von einem Feeling, das mit dem beim Peeling vergleichbar sei. "Unreine" Haut bis hin zu den Mitessern übt auf die Fische offenbar eine geradezu magische Anziehung aus. Aber: "Die Fische wissen nicht, wann Schluss ist." So könne es durchaus vorkommen, dass "blutige Stellen entstehen", so zum Beispiel regelrechte "Löcher in den Fußsohlen". Es empfehle sich unter Umständen, im Wasser Socken zu tragen.

    Für Betroffene sind die Fische das kleinste Übel

    "Schmerzhaft wird es nur, wenn die Fische in offene Wunden stechen bzw. diese absaugen", hatte Christian Pagel, Psoriasispatient von Kindheit an, bereits vor nunmehr sechs Jahren in Günther Jauchs "Stern TV" erklärt. Er habe in seinem Leben therapeutisch schon so viel mitgemacht, da seien die Fische sicher das kleinste Übel. Angesichts der Behandlungsusancen komme bei ihm kein Ekel auf, versicherte Pagel, der sich in der damaligen Sendung mit anderen Hautkranken - die meisten von ihnen kahlgeschoren am Kopf wie er - in einem der Kangal - Thermalbecken zeigte. Die Gruppentherapie mit "Fischtausch" ist – getrennt nach Männlein und Weiblein – in Kangal durchaus üblich, wobei ein Becken mit durchschnittlich 35 bis 40 Patienten belegt ist.

    Reichlich Kangalwasser außen und innen

    Einer Arbeit zufolge, die von S. Ozcelic et al., Hautklinik der Universität von Sivas, unter der Headline "Kangal hot spring with fish and psoriasis treatment" unlängst im "Journal of Dermatology" (27, 6 (2000): 386-390) publiziert wurde, können sich die therapeutischen Ergebnisse der so außergewöhnlichen Therapie durchaus sehen lassen. Demnach waren die Remissionszeiten bei insgesamt 87 Psoriasispatienten unter der Wasser-Fisch-Behandlung im Mittel signifikant länger als die einer Kontrollgruppe, deren Patienten topische Steroide erhielten.

    Dabei tragen die Fische zum Behandlungserfolg nur zu etwa 20 Prozent bei, teilt Götz Lefeber von Fener-Reisen in Hamburg mit, wo man unter anderem auf entsprechende Gesundheitsreisen ins Kangalgebiet spezialisiert ist. Das Klima und natürlich das Wasser seien weitere, wesentliche Faktoren. Vom heißen Kangalnass sollen bereits nach dem Aufstehen vier bis fünf Gläser getrunken werden, und während der täglich achtstündigen Badeexzesse dann noch weitere zwei bis drei Liter.

    Züchter sahen schon die Geldquellen sprudein

    Während man das Kangalklima mit täglichen Gewittergüssen "wie aus heiterem Himmel" ja nicht außer Landes schaffen kann, ist das mit dem Wasser und den Fischen anders. Die wecken Begehrlichkeiten, wobei sich Letztere sogar vermehren lassen. Der aus Sachsen-Anhalt stammende und jetzt in Stuttgart heimische Taxifahrer und Hobbyzüchter Mario Wegricht hat das rechtzeitig verinnerlicht: Seine Exemplare, die er aus dem Kangal hat "mitgehen" lassen, pflanzten sich in heimischen Aquarien, Wannen und Regentonnen so prächtig fort, dass das – bei einem Verkaufspreis von 125 DM pro Fisch – wahre Geldquellen sprudeln lassen sollte. Jetzt sieht sich Wegricht allerdings, was seine Werbeaktivitäten betrifft, zunehmend in die Enge getrieben von diversen Behörden bis hin zu "islamischen Fundamentalisten", die ihn nach eigenen Angaben anonym bedroht haben sollen: Grund genug, jetzt vielleicht auszuwandern und in Tschechien ein "Thermal-Fisch-Bad" aufzubauen. Große Thermalbadpläne hat auch ein anderer, zum Züchter konvertierter Psoriasispatient aus Berlin, Georg Seidler. Von 100 Fischen, die er in einer Plastiktüte mit in den Flieger nahm, hätten immerhin 90 die Reisestrapazen überlebt.

    Zum Beknabbern zur Heilpraktikerin

    Was da schon lange in der Luft – oder eher im Wasser – lag, setzt eine clevere Heilpraktikerin aus Pirmasens seit 1. Juni 2001 konsequent in die Tat um: In ihrem neuen "Zentrum für Gesundheit" bietet Tanja Handler - für Deutschland ein Novum - die Therapie mit Kangalfischen an. Von den zurzeit rund 200 Fischen, über die Handler verfügt, kommen pro Sitzung – Dauer bis zu zwei Stunden – etwa 50 in die Wanne zum Beknabbern des jeweiligen Patienten. Das läuft mit dem Segen des Gesundheitsamts, allerdings nur in Einzeltherapie.

    Die Nachfrage bei Psoriatikcrn soll sehr groß sein, auch im benachbarten Frankreich. Das rief Günther Jauchs "Stern-TV"-Team auf den Plan, um die schon ehemals verfolgte Spur wieder aufzunehmen: Am Drehort Pirmasens verfolgte man die therapeutischen Fortschritte bei zwei Psoriasis- und einem jungen Neurodermitis - Patienten über drei Wochen, um darüber noch vor der Sommerpause des Magazins zu berichten. Dabei leisteten die Fische bereits nach einer Woche gute bis ganze Arbeit, wie aus den Filmdokumentationen bei jeweils deutlich gebessertem Hautstatus hervorgeht. Was freilich nichts darüber sagt, wie es über längere Zeit aussieht.

    IGeL oder nicht: Was sagen die Hautärzte dazu?

    Was sagen die Hautärzte in Pirmasens zu den Aktivitäten der benachbarten Heilpraktikerin? Wäre das nicht auch eine schöne IGeL-Leistung für sie? Jürgen Knauber ist, was die Knabber-Erfolge bei Psoriasis unter heimischen Bedingungen betrifft, noch skeptisch. Der Dermatologe Volker Vogt weist mit Recht darauf hin, dass auch die privat zu verrechnenden IGeL-Leistungen gewisser wissenschaftlicher Standards bedürften bzw. – wie die Kassenleistungen – gewissen "Zertifizierungszwängen" unterliegen. Was der Heilpraktiker dürfe, sei dem gewöhnlichen Arzt noch lange nicht erlaubt, und zu den Gurus fließe das Geld.

    Kollegiale Schützenhilfe für IGeL-Interessenten, auch was die Fische aus Kangal betrifft, könnte allerdings einem Editorial von Privatdozent Matthias Augustin von der Universitäts-Hautklinik Freiburg in "Biologische Medizin" (3/2001: 101) entnommen werden. Der Kliniker schreibt da, dass die so nötige komplexe, ganzheitlich-individuelle Behandlung in der Dermatologie keinesfalls mit fehlender Wissenschaftlichkeit gleichgesetzt werden könne, denn: "Die Regeln der ansonsten hoch geschätzten Evidence Based Medicine lassen sich auf die klinische Vielfalt von Auslösefaktoren und Symptomen einer komplexen Erkrankung nur eingeschränkt anwenden."Erfahrungswissen müsse daher gleichberechtigt in die Behandlung mit einfließen dürfen. Für die Psoriasis gelte das ganz besonders: Bereits von Paul Bechet im Jahre 1936 als "Antidot für das Ego bzw. Selbstwertgefühl des Therapeuten" gebrandmarkt, stellt die Schuppenflechten-Crux noch heute eine ganz besondere Herausforderung dar.

    Hans-Jürgen Richter

    Quelle: "Der Kassenarzt" 33/34 2001, S. 18-20

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