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    Rolf Blaga

    Fehlende Sicherheit bei Fumaderm?

    Ein Kommentar

    Reichen die Kontrollen?

    Wir haben bei Biogen nachgefragt: Die Kontrolle des Blutbildes, bei der die absolute Zahl der Lymphozyten im Blut der Fumaderm-Patienten überwacht wird, sei „nach aktuellem Stand der Wissenschaft die führende Methode“. So könne rechtzeitig eine Lymphopenie erkannt werden. Genau die sei für typische Infektionen verantwortlich, die nur bei immungeschwächten Menschen auftreten, wie eben PML. Das bedeutet: Wenn Patienten regelmäßig ihr Blutbild kontrollieren lassen, dürfte sich keine lebensgefährliche Infektion entwickeln. Biogen verweist darauf, dass Patienten seit über 20 Jahren mit Fumaderm behandelt werden. Das entspräche 229.000 Patientenjahren (Stand 31.01.15). In den Bochumer Patientenakten gab es über 12 Jahre unter Fumaderm keinen einzigen PML-Fall.

    Das niederländisches Ärzteteam behauptet dagegen, ihr Fall zeige, dass die bisherigen Labor-Untersuchungen nicht ausreichen würden, um Patienten vor PML zu schützen. Aber auch der geschilderte Todesfall wirft Fragen auf, wenn man sich genauer damit beschäftigt. Wir haben dem leitenden Arzt, Dr. Dennis J. Nieuwkamp, geschrieben: "Weshalb wurden bei der Patientin zwei Jahre lang die Blutwerte nicht kontrolliert? Kann es sein, dass das PML-Testverfahren nicht völlig fehlerfrei arbeitet und auch falsche Ergebnisse liefern kann?" Leider hat er uns nicht geantwortet. Deshalb haben wir zu diesem Fall Dr. med. Johanna L'age-Stehr gefragt. Sie war am RKI spezialisiert in Immunologie und Virologie. „An der Diagnose PML nach zwei Jahren DMF gibt es keinen Zweifel. Die Messungen enthalten aber große Lücken und könnten methodisch unzulänglich sein.“ Kann es sein, sich eine PML unter zu geringer Lymphozyten-Zahl bildet, die sich aber danach wieder normalisiert? Da würde man als betroffener Patient gerne Genaueres wissen. Was, wenn dieser Fall nicht sachlich widerlegt werden kann? Dann reicht es nicht mehr aus, nur Lymphozyten zu zählen. Die bisherigen Kontrollen müssen dann neu überdacht und es müssen weitere Marker gefunden werden.

    Extreme Einzelfälle?

    Im Vergleich zur großen Menge der behandelten Patienten handelt es sich um extrem wenige PML-Fälle. Trotzdem ist natürlich jeder Fall einer zu viel! Auffällig ist, dass seit 2013 immer wieder PML-Fälle gemeldet werden - für den Monowirkstoff Dimethylfumarat (Tecfidera) sogar Todesfälle. Erst seit 2013 ist der Zusammenhang zwischen Dimethylfumarat und PML bekannt. Der Hersteller beider Präparate, Biogen, verweist darauf, dass es unter Fumaderm keinen einzigen Todesfall gegeben hätte. Das ist beruhigend, aber unseres Erachtens kein ausreichender Beweis dafür, dass das Gemisch aus vier Fumarsäure-Estern sicherer ist.

    Als besorgter Patient würde man sich sicherer fühlen, wenn eindeutig nachgewiesen wird, dass alle diese Einzelfälle reine Behandlungsfehler waren: Das heißt, der Arzt hat weiterbehandelt, obgleich die Lymphozyten-Zahl zu weit abgesunken ist.

    Aber es wird nicht darüber informiert, weshalb es trotz der Warnung in 2013 danach in Deutschland zu weiteren PML-Fällen auch unter Fumaderm kommen konnte. Weitere Behandlungsfehler? Richtig ist, dass grundsätzlich jedes Medikament, das das Immunsystem abschwächt, zu PML führen kann. Aber von anderen Psoriasis-Medikamenten sind solche Fälle (nach Raptiva) nicht bekannt geworden.

    Erfahrungen gegen Studien

    Das Psoriasis-Netz kritisiert seit langem, dass es keine wissenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Kritikern der Fumaderm-Therapie gibt. Es bleibt uns Patienten überlassen, wem wir mehr vertrauen. Die Befürworter verweisen vor allem auf langjährige klinischen Erfahrungen mit sehr vielen Patienten und der Therapieempfehlung in den Leitlinien. Niemand bezweifelt, dass Fumaderm bei schwerer und mittelschwerer Psoriasis wirken kann, wenn auch die Zahl der Therapieabbrecher hoch ist. Aber heutzutage muss durch verblindete und Placebo-kontrollierte Studien nachgewiesen werden, wie gut ein Medikament wirkt und wie sicher es ist. Erfahrungen gelten in der evidenzbasierten Medizin als eher unsicherer Beweis. Genau solche Studien fehlen aber für Fumaderm. Es ist zugelassen worden zu einer Zeit, in der solche Studien nicht verlangt wurden.

    Völlig ausgeblendet wird, mit welchen Argumenten in allen anderen Ländern die Fumarsäureester-Therapie abgelehnt wird.

    Interessenkonflikte

    Die Befürworter berufen sich auf die Leitlinie zur Therapie der Psoriasis vulgaris. Darin ist die Therapie mit Fumarsäureester ausdrücklich vorgesehen. Die Mediziner der Stiftung Warentest berufen sich ausdrücklich nicht auf Leitlinien, sondern nur auf wissenschaftliche Fachliteratur und Bewertungen von „Institutionen, die im Auftrag des Gesetzgebers“ wirken. Denn Leitlinien stehen unter dem Verdacht, von der Pharmaindustrie beeinflusst zu sein. Das gilt auch für die Psoriasis-Leitlinie, wie die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft in einer Expertise 2012 feststellte. Viele ihrer Autoren pflegen intensive geschäftliche Beziehungen zu Pharmafirmen. Auf der Gutachterliste der Stiftung Warentest dagegen stehen prominente Namen von Medizinern, die zu den wenigen tatsächlich völlig unabhängigen gehören.

    Was sicher ist

    Klar ist inzwischen, dass der eigentliche Wirkstoff gegen Psoriasis und Multiple Sklerose (MS) das Dimethylfumarat ist. 2006 sollte ein Medikament mit nur diesem einen Fumarat das Kombinationspräparat Fumaderm ablösen. Dafür lagen aussagekräftige Daten aus klinischen Studien zur Therapie der Psoriasis vor. Als sich herausstellte, dass es auch sehr gut bei MS hilft, wurde die Vermarktung für die Schuppenflechte eingestellt. 2013 kam es als Tecfidera auf den europäischen Markt. Es ist nur für MS zugelassen. Psoriatiker werden stattdessen weiterhin mit dem weniger verträglichen Fumaderm behandelt.

    Biogen teilte uns mit, dass man versuche wissenschaftlich zu ergründen, weshalb bei manchen Patienten die Lymphozyten-Anzahl derart stark abfällt. Es gäbe aber bisher noch keine gesicherten Erkenntnisse.

    Fazit

    Patienten, die mit Fumaderm behandelt werden, sollten nicht in Panik verfallen. Aber sie sollten wissen, dass das Mittel nicht nur harmlose Nebenwirkungen haben kann. Wie bei anderen immunsuppressiven Mitteln müssen die Blutwerte genau und regelmäßig kontrolliert werden. 2 bis 3 Prozent können an einer schweren Lymphopenie erkranken. Die aber kann behandelt werden, solange sie rechtzeitig erkannt wird. In Zukunft muss unbedingt geklärt werden, ob sich eine lebensgefährliche PML auch dann entwickeln kann, wenn die Leukozyten-Zahl im Normalbereich bleibt. Bisher habe sich die Beteiligten dazu in Schweigen gehüllt.


    Über den Autoren

    Rolf Blaga hat sich mehr als 28 Jahre lang in der Patienten-Selbsthilfe für Menschen mit Schuppenflechte engagiert. Als Autor fürs Psoriasis-Netz besucht er regelmäßig medizinische Veranstaltungen. Er ist Vorsitzender der AG Medizin und Gesundheit bei Transparency Deutschland.

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    Unseres Wissens gibt es keine anderen Stelle, an der öffentlich und für alle transparent über das Problem Dimethylfumarat und PML inhaltlich debattiert wird. Wir fordern Experten und Betroffene ausdrücklich auf, sich an dem Gedankenaustausch zu beteiligen und ihr Wissen bzw. ihre Erfahrung mit einzubringen.

    Dr. med. Jutta Scheiderbauer hat die Redaktion auf zwei kritische Punkte hingewiesen. Sie engagiert sich bei der Trierer Aktionsgruppe für neudiagnostizierte und junge Erwachsene mit Multipler Sklerose (TAG). Mit Ihrer Erlaubnis geben wir Ihre Positionen wieder:

    1. Warum werden erst jetzt plötzlich so viele PML-Fälle unter Fumaderm bekannt? Könnte das damit zusammenhängen, dass das Medikament jetzt ständig und jahrelang eingenommen wird? Früher wurde meines Wissens Fumaderm nur über begrenzte Zeiträume eingenommen. Die aktuelle Vermarktungsstrategie bei allen Immunsuppressiva gegen chronische Erkrankungen läuft darauf hinaus, dass Patienten die Mittel lebenslang bekommen.2. Wie sind angegebenen Patientenjahre, mit denen Biogen als Beweis für die Sicherheit argumentiert, zu Fumaderm zu verstehen? Sind die Psoriasis-Patienten denn auch wirklich jahrelang behandelt worden?

    Ich bin sehr besorgt!

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    1. Im Gegensatz zu anderen (Psoriasis-) Medikamenten wurde Fumaderm® von Ärzten schon immer „lebenslang“ verschrieben, sofern es der Patient gut vertragen und die Laborwerte akzeptabel waren. In erscheinungsfreien Zeiten wurde es nicht abgesetzt, aber durchaus die Dosis verringert; bis hin zu einem Dragée pro Woche. Begründet wird das auch damit, dass dadurch nicht nur die entzündliche Psoriasis, sondern auch typische Begleiterkrankungen in Schach gehalten werden können. Manche immunsupperessiven Medikamente wirken schwächer oder es entwickeln sich eher Anti-Körper, wenn man sie immer wieder absetzt. Kritiker befürchteten hinter dieser Argumentation eine Absatz-Strategie der Pharmafirmen.2. Im Prinzip berechnen sich Patientenjahre einfach: Anzahl der Patienten x (Behandlungs-) Jahre. 100 Patientenjahre kann also heißen, dass 1 Patient 100 Jahre oder 100 Patienten 1 Jahr behandelt worden sind. In der Praxis an einem kleinen Beispiel zeigt sich sofort der Schwachpunkt: 12 Patientenjahre werden z.B. dadurch erreicht, dass 1 Patient 6 Monate, 1 Patient 12 Monate und ein dritter 30 Monate behandelt wurde. Wie aber wird die Anzahl der Patienten gezählt, wenn ein Patient z.B. ein halbes oder ein Jahr aussetzt und dann erneut mit dem Medikament behandelt wird? Wer eine möglichst hohe Zahl von Patientenjahren erhalten will, zählt diesen Patienten als neu hinzugekommen. Ehrlicherweise dürfte sich aber die Anzahl der Patienten nicht ändern, wenn ein Patient eine unterbrochene Therapie wieder aufnimmt.

    Woher kommen die Informationen für diese Zahlen? Natürlich weiß eine Firma, welche Menge eines Medikaments sie verkauft hat. Da aber z.B. Fumaderm®-Patienten zwischen 1 und 6 Dragées nehmen, ist nicht zurückzuverfolgen, wie groß die Anzahl der Patienten tatsächlich war. In dem Buch "Korrupte Medizin" beschreibt der Autor, wie Firmen trotzdem an solche Daten kommen können. Die Marktforschungsfirma IMS Health ist auch in Deutschland tätig. Sie bietet mit dem "IMS DPM" eine genaue Auflistung aller Verschreibungen. Die Daten werden monatlich anhand der Abrechnung des Apotheken-Großhandels sowie 4000 öffentlicher Apotheken zusammengestellt. Gegen ein Honorar melden zusätzlich zehntausende von Ärzten in Deutschland und Österreich der Firma ihre Verschreibungsdaten (S. 24ff.). Es sind aber sicherlich nicht alle Ärzte daran beteiligt.

    Fumaderm® ist das am meisten verschriebene innerlich Psoriasis-Medikament. Das ist unbestritten und entsprechend viele Patienten werden damit seit über 20 Jahren behandelt. Trotzdem kann eine Angabe von Patientenjahren in diesem Fall sicherlich nie genau sein. Im Fall Fumaderm® wird diese Zahl aber dazu benutzt um zu argumentieren, bei derart viel Erfahrung mit so vielen Patienten seien wissenschaftliche Studien nicht mehr notwendig.

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